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Posts tagged Soziologie
Zur Hölle mit Nuancen

Der Ideenraum ist voll mit falschen Theorien reichend vom Distributed Idea Supression Complex über Kayfabes bis hin zum Goodharts Gesetz.

All diese Theorien sind überaus interessant, bieten einen hilfreichen Denkrahmen und vereinen verschiedene Phänomene in einem einzigen Konzept. Doch natürlich wird niemand Schwierigkeiten haben, auf die vielen fehlenden Details aufmerksam zu machen. Ein einziges und prägnantes Konzept kann der realen Welt nie gerecht werden.

Doch genau darum geht es auch gar nicht. Diese Theorien haben ja gerade das Ziel, eine gewisse Abstrahierung vorzunehmen. Das Ziel ist also mehrere Phänomene zusammenzufassen, die Gemeinsamkeiten zu erkennen und Details auszulassen.

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Genetische Gruppendynamik - Fische

Der Anblick eines Vogelschwarms ist immer wieder beeindruckend. Hunderte Vögel erreichen eine perfekte Koordination und das auf Basis erstaunlich simpler Verhaltensheuristiken. Dasselbe Phänomen lässt sich bei Fischschwärmen beobachten – auch sie erzeugen mit einfachen Regeln ein hohes Maß an Koordination.

Doch nicht nur die Regeln selbst spielen eine Rolle – auch die Genetik beeinflusst die Interaktion der Tiere.

Die Relevanz davon liegt auf der Hand: Schwärme sind im Grunde nichts anderes als eine Form sozialer Interaktion. Auf welche Weise die Genetik das Zusammenleben von Fischen und Vögeln beeinflusst, kann den ein oder anderen Hinweis auf die soziale Interaktion von uns Menschen liefern.

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Verurteilungswahrscheinlichkeit – Paradox

Man ist der Durchschnitt der fünf Menschen mit denen man die meiste Zeit verbringt – so eine weit verbreitete These auf dem Gebiet der Persönlichkeitsentwicklung. Auch in der Kriminologie ist diese Erkenntnis keine Neuheit – Menschen, die im Freundes- oder Familienkreis von Kriminellen umgeben sind, neigen auch selbst viel stärker zu Kriminalität.

Zum einen ist Kriminalität für solche Menschen nicht negativ besetzt. Während eine Verurteilung für die meisten von uns auch einen Schaden im sozialen Umfeld bewirkt, kann sie in einem kriminalitätsnahen Umfeld sogar zu höherem Ansehen führen.

Wie bei allen anderen Themen verursacht die häufige Konfrontation mit Kriminalität außerdem einen Anstieg an Ideen. Wer also immer wieder illegale Handlungen beobachtet, wird auch selbst viele Chancen und Möglichkeiten entdecken, um sich durch rechtswidrige Aktionen zu bereichern.

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Vertrag von Versailles und die Masse

Die Pariser Friedensverträge – allen voran der von Versailles - waren ein entscheidender Treiber der nationalsozialistischen Bewegung nach dem Ersten Weltkrieg. Unaufhörlich sprach Hitler über das Schanddiktat von Versailles - es war ein zentraler Wahlslogan der Nazis und für viele Deutsche ein zentrales Wahlmotiv.

Die konventionelle Sicht auf den Vertrag sieht den Fehler in der alleinigen Schuldzuschreibung, den hohen Reparaturzahlungen sowie der geforderten Abrüstung. Diese Faktoren wurden von den Deutschen nie akzeptiert und verhinderten somit von vornherein einen endgültigen Frieden.

Doch Elisa Canetti liefert in seinem philosophischen Hauptwerk „Masse und Macht“ eine andere, aber nicht weniger entscheidende Sichtweise.

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Modularität als Entscheidungstool

Die Fähigkeit, sich in großen Gruppen zu organisieren und gemeinsame Entscheidungen zu treffen, gilt als eine der größten Stärken unserer Spezies. Natürlich habe auch diverse andere Lebewesen die Macht von Gruppen erkannt. Denn Entscheidungen des Individuums sind den Entscheidungen von größeren Organisationen oft weitaus unterlegen.

Dieser Zusammenhang lässt sich auch mathematisch sehr anschaulich darstellen. Beispielweise mit dem Condorcet-Jury-Theorem. Wenn jedes Individuum mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50% die richtige Entscheidung trifft, dann trifft eine große Gruppe – gemäß dem Gesetz der großen Zahlen – bei einer Mehrheitsabstimmung mit ziemlicher Sicherheit auch die richtige Entscheidung.

Nach diesem Theorem führt also jedes Individuum zu einem Anstieg der Entscheidungskraft.

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Wilde Probleme – Zahme Probleme

Wieso übernehmen in der Politik nicht endlich die Wissenschaftler? Die Sozialwissenschaften haben in den letzten Jahrzehnten einen rasanten Aufstieg erlebt – wieso werden unsere gesellschaftlichen Probleme nicht wissenschaftlich und endgültig gelöst?

Man sollte die Probleme unserer Gesellschaft endlich so angehen, wie man auch Probleme im Ingenieurswesen und den Naturwissenschaften angeht. Die Situation analysieren, nachdenken, Hypothesen aufstellen, Experimente durchführen und Lösungen finden.

Klingt einfach, ist aber unmöglich. In ihrem viel zu wenig beachteten Paper „Dilemmas in a General Theory of Planning“ stellten Horst Rittel und Melvin Webber schon 1973 fest, dass klassische Problemlösungsmethoden bei den komplexen Problemstellungen von Wirtschaft, Politik und Umwelt versagen.

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Vorstellungskraft - Gefahr für Sicherheit

Im Zuge des Kalten Krieges hat eine ganz neue Art des Denkens Einzug in die Sicherheitspolitik erhalten. Das Denken in Szenarien wurde damals populär, denn klassische Experimente kann man in einem Nuklearkrieg nicht durchführen. Schon die wichtige Eigenschaft der Wiederholbarkeit eines Experiments ist nicht gegeben, wenn ein einziger Fehlversuch das Ende der Menschheit bedeuten kann.

Was damals begonnen hat zieht sich bis heute durch und wird immer populärer, wie die Philosophin Jutta Weber in ihrem Paper „Wild Cards. Imagination als Katastrophenprävention.“ beschreibt.

Wild Cards sind Bedrohungen, die zwar enorm unrealistisch sind, bei ihrem Eintreten aber drastische Konsequenzen haben würden. Also beispielsweise Roboterinsekten, die ganze Städte ausrotten, oder die Erpressung von Menschen auf Basis ihrer DNA-Daten.

Doch anders als in Zeiten des Kalten Krieges, wo sich die Szenarien immerhin auf ein konkretes Themengebiet beschränkten, greift das Szenariendenken heute in alle Lebensbereiche über. Genau hier liegt auch der Kritikpunkt von Jutta Weber.

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Optimieren, Maximieren, Satisfizieren

Eine Erklärung für dieses Phänomen besagt, dass es mit Kosten verbunden ist, neue Dinge auszuprobieren und bessere Lösungen zu finden. Anstatt also den Nutzen zu maximieren, optimieren wir ihn. Wir optimieren den Nutzen unter einer Abwägung der Kosten und des potentiellen Gewinnes.

Doch die Kosten, den täglichen Weg zur Arbeit immer wieder einmal geringfügig abzuändern, sind im Vergleich zur gemessenen Zeitersparnis enorm gering. Wenn die Pendler also optimiert hätten, wäre niemals ein so drastischer Effekt durch den Streik entstanden.

Die Antwort des Problems liefert der ehemalige Ökonom, Politikwissenschaftler und Psychologe Herbert Alexander Simon in seinem berüchtigten Paper „Rational choice and the structure of the environment.“

Anstatt ums Optimieren oder Maximieren des Nutzens, geht es uns Menschen laut dieser Theorie um das „satisficing“.

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Trauma & institutioneller Vertrauensbruch

In den letzten Jahrzehnten hat sich das Verständnis von psychologisch traumatischen Ereignissen entscheidend weiterentwickelt. Ein wichtiger Schritt in dieser Entwicklung ist die Erkenntnis, dass die Stärke des Traumas nicht nur von der Drastik des jeweiligen Events abhängt. Vor allem in Bezug auf Missbrauch hängt das Trauma eng mit der Beziehung zwischen Opfer und Täter zusammen.

In Ihrem Paper „Institutional Betrayal“ beschreiben die beiden Psychologinnen Carly Smith und Jennifer Freyd, dass der nächste entscheidende Schritt zum Verständnis von Traumata und zum Kampf gegen Missbrauch eine Wahrnehmung der Rolle von Institutionen ist.

Wenn sich ein Opfer an eine Institution wendet, von dieser aber nicht ernst genommen wird, keine adäquate Hilfe bekommt, oder gar aktiv stigmatisiert wird, dann führt das zu einem ähnlichen Vertrauensbruch wie in einer persönlichen Beziehung. Schließlich muss ein enormes Vertrauen bestehen, damit sich eine Person überhaupt überwindet, diese intime Angelegenheit vor die Augen und Ohren der Institution zu bringen.

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Gespräche & das Risiko der Neuigkeit

Sprache und die Fähigkeit, über Dinge zu lernen, die wir selbst noch nie erlebt haben, sind zwei große evolutionäre Stärken von uns Menschen. Doch wir nutzen unsere Sprache nicht nur, um über neue Dinge zu lernen. In vielen Fällen ist die Konversation mit anderen Menschen ein rein sozialer Akt, der nicht auf Informationsaustausch abzielt, sondern vielmehr auf eine Stärkung der zwischenmenschlichen Beziehung. Die vom US-amerikanischen Psychologen Daniel Gilbert geprägte Metapher des Gespräches als Tanz beschreibt den wahren Hintergrund unserer Interaktionen wohl am besten.

Aber natürlich ist es vorteilhaft, wenn im Zuge dieses Tanzes auch ein gewisser Informationsaustausch stattfindet. Es ist doch viel spannender und angenehmer, eine neue Geschichte zu hören und über etwas Fremdes zu erfahren, anstatt immer wieder über gleiche Erfahrungen und viel zu oft erzählte Erlebnisse zu sprechen.

Das möchte man vermuten. Wie Daniel Gilbert und Kollegen in ihrem Paper „The novelty penalty: why do people like talking about new experiences but hearing about old ones?” anhand von 4 Studien beweisen ist dem aber nicht so. Die meisten Erzähler gehen davon aus, dass Geschichten, die den Zuhörern noch nicht bekannt sind, für letztere interessanter sind. Auch die Zuhörer nehmen in der Regel an, dass sie Erzählungen über etwas Neues spannender finden als Erzählungen über etwas bereits Bekanntes. Wir tragen also alle die Annahme mit uns herum, dass in Gesprächen eine Art Neuartigkeitsbonus von den Zuhörern vergeben wird.

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Transparenz – zerbrechliches Glas!

„Socialist governments traditionally do make a financial mess. They always run out of other people's money.” – Margaret Thatcher in einem TV Interview vom 5. Februar 1976.

Mit dem Geld anderer Menschen geht man ganz anders um als mit seinem eigenen. Dieses Problem ist nicht neu, aber bleibt eines der großen Schwierigkeiten repräsentativer Demokratien. Schlussendlich sollen Politiker im Interesse ihre Wähler entscheiden und schlussendlich müssen Politiker auch das Geld dieser Wähler ausgeben. Eine Lösung, der vor allem liberale Parteien sehr viel abgewinnen können, ist die der Transparenz.

Zynische Zungen bezeichnen diesen Ruf nach Transparenz als ein Ja zur Korruption, aber hinter gläsernen Wänden.

Doch abseits dieser zynischen Zungen sehen auch viele Wissenschaftler den Ruf nach Transparenz als einen Ruf ins Leere. Manchmal sogar einen Ruf ins Negative.

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Bei hoher Dichte kann Zeit nicht fliegen

Wenn Soldaten über konkrete Kampfhandlungen im Krieg berichten, spielt die Zeit eine entscheidende Rolle. Die Zeit, die in derartig tragischen und intensiven Situationen nicht zu vergehen scheint. Wenn Gefangene über Isolationshaft berichten, spielt die Zeit eine entscheidende Rolle. Die Zeit, die in Phasen der enormen Langeweile nicht zu vergehen scheint.

Eigentlich paradox. Sowohl sehr intensive Momente als auch Momente, die außerordentlich langweilig sind, zeichnen sich dadurch aus, dass unser Empfinden der Zeit sich verlangsamt.

Der US-amerikanische Soziologieprofessor Michael Flaherty beschäftigt sich schon seine gesamte Karriere intensiv mit der menschlichen Zeitempfindung und hat auch eine Lösung für das scheinbare Paradoxon.

Wie wir die Zeit empfinden hängt sehr stark von der Dichte unserer Erfahrungen ab. Die Erfahrungsdichte ist zum einen dann hoch, wenn man viel Neues und Intensives erlebt. Sie ist aber auch dann hoch, wenn man fast gar nichts erlebt. In beiden Fällen setzt man sich sehr intensiv mit der unmittelbaren Umgebung und oder mit sich selbst auseinander.

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Fundamentalismus der Messungen

Die Folgen? Optimiert wird nach dem Faktor, den man messen kann, also der Volatilität. Dass eine Reduktion der Volatilität aber nicht automatisch eine Reduktion des Risikos bedeutet, wird nicht beachtet. Eigentlich ist es ja auch egal. Die Zahlen sagen die Wahrheit und wenn die Zahlen Volatilität messen, dann muss man auch die Volatilität optimieren.

Das Muster zeigt sich nicht nur bei der Volatilität, sondern auch bei vielen anderen Phänomenen, vor allem wenn es um Wirtschaft oder Soziologie geht. Als Maßstab für den Wohlstand dient so das BIP, der HDI messt die Entwicklung eines Landes. Kein solcher Maßstab kann die Komplexität der zugrundeliegenden Zusammenhänge so gut beschreiben, dass eine Verbesserung des Maßstabes automatisch zu einer Verbesserung der zugrundeliegenden Tatsache führt.

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Physik & die Macht der Minderheiten

Auf den ersten Blick wirkt es absurd, die Physik zur Modellierung sozialer Phänomenen zu verwenden. Allerdings ist die Physik sehr gut darin, von einzelnen Partikeln auf größere dynamische Prozesse zu schließen, also statistische Mechanismen zu analysieren. Auch modelliert man in der Physik schon lange Phasenübergänge (beispielsweise von fest auf flüssig) und hat sehr gute Modelle, um diese Phasenübergänge in Abhängigkeit von diversen Faktoren zu beschreiben.

Genau mit solchen Phasenübergängen und dem Rückschließen von einzelnen Akteuren auf große Zusammenhänge beschäftigt sich die Soziophysik. Man schließt von der Meinung und Geisteshaltung einzelner Gruppen auf das Verhalten der Gesamtwählerschaft. Man analysiert wie durch die Interaktion weniger Wähler untereinander massive Bewegungen im gesamten Wählerverhalten entstehen.

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Lügen oder Schweigen – eine Frage der Perspektive

Dass man nicht lügen soll, weiß jedes Kind. Dass nicht lügen nicht immer möglich ist ebenfalls. Vor allem wenn es um prosoziale Lügen geht, also Lügen von denen der Angelogene profitiert, sind viele bereit dem Wahrheitsgebot zu widersprechen. Manche sind aber auch der Meinung, dass es besser ist einfach nichts zu sagen, anstatt jemanden anzulügen.

In dem ausführlichen Artikel „The Surprising Cost of Silence. Asymmetric Preferences for prosocial lies of commission and omission.” haben Emma Levine et al. sich mit der Frage auseinandergesetzt, welche Art der Täuschung Menschen moralisch vertretbar finden.

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Psychologie der Massen und Ideenträgheit

Je mehr sich die Geschwindigkeit der Veränderung erhöht, desto gefährlicher wird diese Ideenträgheit der Massen. Wenn wir es dann auch noch vermehrt mit populistischen Politikern zu tun haben, die nicht von Idealen und eigenen Ideen getrieben sind, sondern einfach die Ideen adaptieren, die bei der Wählerschaft gut ankommen, dann sind wir an einem Punkt, wo die Demokratie es nicht mehr schafft, angemessen mit der Welt umzugehen.

Um das zu verhindern muss die Ambiguität der Welt respektiert werden. Anstatt von Wahrheiten gilt es von Wahrscheinlichkeiten zu sprechen.

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Indirektheit - Beziehungen & Ironie

Methoden wie Meditation oder Ironie erlauben dem Menschen eine distanzierte Sichtweise zu sich selbst und der Welt einzunehmen. Sie erlauben eine gewisse Distanz zum Konkreten, zum Fassbaren. Dadurch werden diese Methoden zu wichtigen Werkzeugen der Erkenntnisfindung. Nun zeichnen sich wertvolle Beziehungen dadurch aus, dass sie eine gewisse Distanz zum Konkreten, zum Tausch, schaffen.

Vielleicht ist also ein Leben mit derartigen wertvollen Beziehungen, genau wie auch ein Leben mit Ironie und Humor, unter anderem deshalb erfüllter, weil solche Beziehungen einem einen neuen Blick auf die Dinge geben, weil sie zu mehr Erkenntnis führen.

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Wandel moralischer Standards und Kunst

Man darf Künstler und ihre historischen Werke, die in ganz anderen Zeiten entstanden sind als den unseren, nicht mit heutigen moralischen Standards bewerten. Stark patriarchalische, antisemitische oder xenophobische Ansichten und Äußerungen sind niemals gutzuheißen, darauf hat sich die Gesellschaft im moralischen Konsens geeinigt. Es muss aber klar sein, dass dieser Konsens früher im besten Fall eine Randmeinung war.

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