text

Trauma & institutioneller Vertrauensbruch

In den letzten Jahrzehnten hat sich das Verständnis von psychologisch traumatischen Ereignissen entscheidend weiterentwickelt. Ein wichtiger Schritt in dieser Entwicklung ist die Erkenntnis, dass die Stärke des Traumas nicht nur von der Drastik des jeweiligen Events abhängt. Vor allem in Bezug auf Missbrauch hängt das Trauma eng mit der Beziehung zwischen Opfer und Täter zusammen.

Denn während sexueller Missbrauch innerhalb von intimen Beziehungen medial viel weniger Aufmerksamkeit bekommt, als Missbrauch der durch Fremde geschieht, ist der psychologische Schaden bei ersterem oft höher. Eine Erklärung dafür liefert die „Betrayal trauma theory“.

Nach dieser Theorie spielt die Verletzung der Beziehung - das Untergraben der zwischenmenschlichen Vertrauensbasis - eine entscheidende Rolle in der psychologischen Auswirkung von traumatischen Erlebnissen. Ein Opfer, das von einer nahestehenden Person misshandelt wird, muss zusätzlich zur Misshandlung mit der Zerstörung der Beziehung zurechtkommen. Doch nicht nur das. Gerade wenn eine Abhängigkeit besteht, kann es dazu kommen, dass das Opfer eine gewisse Blindheit gegenüber der Tat entwickelt oder sie weitestgehend verdrängt, um die Beziehung zu bewahren. Durch diese extremen Coping-Strategien wird die Tür zu weiteren Misshandlungen geöffnet und der langfristige psychologische Schaden gesteigert.

In Ihrem Paper „Institutional Betrayal“ beschreiben die beiden Psychologinnen Carly Smith und Jennifer Freyd, dass der nächste entscheidende Schritt zum Verständnis von Traumata und zum Kampf gegen Missbrauch eine Wahrnehmung der Rolle von Institutionen ist.

Wenn sich ein Opfer an eine Institution wendet, von dieser aber nicht ernst genommen wird, keine adäquate Hilfe bekommt, oder gar aktiv stigmatisiert wird, dann führt das zu einem ähnlichen Vertrauensbruch wie in einer persönlichen Beziehung. Schließlich muss ein enormes Vertrauen bestehen, damit sich eine Person überhaupt überwindet, diese intime Angelegenheit vor die Augen und Ohren der Institution zu bringen.

Viel drastischer ist diese Situation noch, wenn die Person von der Institution abhängig ist. So stellt es sich e.g. für Missbrauchsopfer im Militär enorm schwierig dar, Vorwürfe gegen Vorgesetzte aufzubringen, da sie damit ihre eigene Lebensgrundlage riskieren.

Tatsächlich ist das Militär von der institutionellen und kulturellen Auslegung her besonders anfällig für institutionellen Vertrauensbruch. Dazu haben die beiden Wissenschaftlerinnen drei Faktoren identifiziert, die besonders fördernd für derartiges Fehlverhalten sind.

Der erste Faktor ist eine Kultur, die Gehorsam sowie Konformität fordert und jegliche Abweichungen von den gemeinsamen Normen unterdrückt. Zum anderen wirken sich ein starker Fokus auf Prestige und sehr strikte Hierarchien negativ aus. Auch Institutionen wie die Kirche, bei denen Fassade und Außenwahrnehmung eine wichtige Rolle spielen, sind besonders anfällig für ein Fehlverhalten gegenüber Missbrauchsopfern.

Dieses Fehlverhalten gegenüber den Opfern steigert nicht nur das psychische Leid, das die Opfer selbst erleben, sondern erhöht auch die Wahrscheinlichkeit weiterer Missbrauchsfälle. Daraus entwickelt sich schließlich ein Teufelskreis der Normalisierung im Zuge dessen die ganze Organisation blind gegenüber Missbrauch wird.

Um solche Teufelskreise zu verhindern, plädieren Carly Smith und Jennifer Freyd für eine klare Sprache. Die weit verbreitete Einzelfall-Rhetorik ist in diesem Zusammenhang besonders toxisch. Gerade bei Missbrauch findet der konkrete Akt nur zwischenmenschlich statt, was von der Mitverantwortung der Institutionen ablenkt. Deshalb müssen Konzepte wie das des institutionellen Vertrauensbruchs mehr Aufmerksamkeit bekommen, da nur mit den richtigen Werkzeugen der Sprache und des Denkens Probleme erkannt und behandelt werden können.

Zum Weiterlesen:

https://dynamic.uoregon.edu/jjf/articles/sf2014.pdf