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Bitcoin – eine lange Geschichte

Was macht eigentlich Bitcoin so populär? Diese Frage hat man sich zu den Hype-Zeiten der berüchtigten Kryptowährung auf der ganzen Welt gestellt. Die Technologie ist sicherlich spannend, wird aber vom  Großteil der Menschen, die meisten Bitcoin-Spekulanten und der Autor dieses Artikels eingeschlossen, ansatzweise bis gar nicht verstanden.

Tatsächlich spielt bei Bitcoin wohl das Narrativ eine viel entscheidendere Rolle, als die kryptografischen Genialitäten, die der Blockchain-Technologie zugrunde liegen. Und es ist kein neues Narrativ. Es ist ein Narrativ rund um ein Thema, das alle betrifft, niemand wirklich versteht und das in vielen Fällen als Sündenbock für den Hass gegenüber Institutionen und Machthabern dient: unser Währungssystem.

Die weit verbreitete Ignoranz gegenüber der Funktionsweise unseres Währungssystems bietet sehr fruchtbaren Boden für jegliche Innovationen in diesem Bereich. 1873 führte man in den USA den Goldstandard ein. Davor hatte man einen Bimetallstandard mit Gold und Silber.

In den Jahren nach der Einführung des Goldstandards kam es zu einer Deflation in den USA, die Preise sind also stark gefallen. Das hat vor allem Kreditnehmern geschadet, die ihre Schulden nur mehr mit Müh und Not zurückzahlen konnten. Betroffen waren davon vor allem Bauern, die ihren Hof auf Basis eines Kredits gekauft hatten. In diesen Kreisen sprach man deshalb auch vom „Verbrechen von 1873“.

Tatsächlich hatte die Deflation zwar eher mit der ökonomischen Entwicklung als mit der Änderung des Währungssystems zu tun, doch mit dem Goldstandard war ein praktischer Sündenbock gefunden. Die Ablehnung gegenüber dem Goldstandard war so ausgeprägt, dass sich in den 1890er Jahren die starke politische Bewegung der Silverites entwickelte. Eine politische Bewegung, deren Hauptziel eine Rückkehr zum Bimetallstandard war.

Die Silverites waren vor allem Bauern und Arbeiter. Somit war auch der Kampf gegen die Intellektuellen und Eliten eine entscheidende Kraft hinter der Bewegung. Darüber hinaus war der Preis von Silber gefallen, sodass ein Bimetallstandard die Schuldenlast vieler Silverites gelindert hätte.

Doch wie bei Bitcoin heute, spielte die Ignoranz gegenüber der Funktionsweise des Währungssystems eine nicht weniger bedeutende Rolle. Dabei führten sowohl die Bitcoin- als auch die Bimetallbewegung dazu, dass sich viele erstmals mit der Funktionsweise des Geldsystems auseinandersetzten.

Und während es heute immer noch viele überrascht, dass wir eine Fiat-Währung haben, der keine Vermögenswerte gegenüberstehen, war damals für viele schwer zu verstehen, dass die Währung auf Gold basiert, obwohl man im Alltag nie mit Gold in Kontakt kommt.

In vielen Fällen löste diese erstmalige Auseinandersetzung mit dem Geldsystem also ein gewisses Misstrauen gegenüber dem Status-Quo aus und bot damit perfekten Nährboden für die Narrative von Bitcoin beziehungsweise dem Bimetallstandard.

Dabei bedeutet dieses Misstrauen noch lange nicht, dass die Befürworter von Bitcoin oder dem Bimetallstandard das System wirklich verstanden haben. Bestes Beispiel: Im Frühling 1893 kam es zu Bank-Runs in weiten Teilen der USA. Der Grund: Die Goldreserven der Zentralbank sind unter 100 Millionen Dollar gefallen waren. Eigentlich kein großes Ereignis, doch diese medial gepushte Zahl löste bei vielen Bürgern Panik aus. Die Menschen rannten also zu ihren Banken und begannen ihr Geldvermögen abzuheben. Das macht man schließlich, wenn es Probleme mit dem Währungssystem gibt.

Doch das Geld auf der eigenen Bank hatte nichts mit den Goldreserven der Zentralbank zu tun. Wenn man wirklich Sorgen gehabt hätte, dass der Zentralbank die Goldreserven ausgehen, hätte man zur Zentralbank gehen müssen, um dort die Dollar gegen Gold auszutauschen. Das wäre auch möglich gewesen, hat aber niemand gemacht.

Der Grundstein der Bitcoin-Popularität wurde also mehr als hundert Jahre vor der Entwicklung der Kryptowährung mit der Bewegung der Silverites gelegt. Schon damals spielte dabei neben technologischen und wirtschaftlichen Fakten vor allem ein gewisses Misstrauen gegenüber dem Währungssystem eine entscheidende Rolle.

Zum Weiterlesen:

Shiller, Robert: Narrative economics. How stories go viral & drive major economic events. Princeton: 2019.