text

Transparenz – zerbrechliches Glas!

„Socialist governments traditionally do make a financial mess. They always run out of other people's money.” – Margaret Thatcher in einem TV Interview vom 5. Februar 1976.

Mit dem Geld anderer Menschen geht man ganz anders um als mit seinem eigenen. Dieses Problem ist nicht neu, aber bleibt eines der großen Schwierigkeiten repräsentativer Demokratien. Schlussendlich sollen Politiker im Interesse ihre Wähler entscheiden und schlussendlich müssen Politiker auch das Geld dieser Wähler ausgeben. Eine Lösung, der vor allem liberale Parteien sehr viel abgewinnen können, ist die der Transparenz.

Zynische Zungen bezeichnen diesen Ruf nach Transparenz als ein Ja zur Korruption, aber hinter gläsernen Wänden.

Doch abseits dieser zynischen Zungen sehen auch viele Wissenschaftler den Ruf nach Transparenz als einen Ruf ins Leere. Manchmal sogar einen Ruf ins Negative.

Ulrike Malmendier und Klaus M. Schmidt haben sich in ihrem Paper „You Owe Me“ anhand einer empirischen Studie mit 740 Teilnehmern mit dem Effekt von Geschenken auf die Handlungen eines Entscheiders auseinandergesetzt.

In ihrem Studienaufbau haben sich manche Teilnehmer, die Entscheider, zwischen zwei Produkten unterschiedlicher Qualität entscheiden müssen. Sie haben diese Entscheidung allerdings nicht für sich selbst, sondern für einen Auftraggeber getroffen. Ein Produzent hatte die Möglichkeit, dem Entscheider ein kleines Geschenk vor der Entscheidung zu geben. Da der Entscheider das Geschenk schon vor seiner Wahl bekommen hat, wirkte sich eine Entscheidung gegen den Schenker nicht negativ auf ihn selbst aus.

Dennoch hat sich gezeigt: Die Entscheider haben sich in vielen Fällen für den Schenker entschieden, auch wenn sein Produkt schlechter war. Dabei war allen Entscheidern bewusst, dass sie das Geschenk vor allem bekommen hatten, weil der Produzent sie dadurch zum Kauf verleiten wollte. Soweit ist das noch nicht sonderlich überraschend. Denn die Reziprozität ist eine tief in uns verankerte soziale Norm.

Was aber überraschte: Im Grundexperiment hat der Entscheider seine Wahl getroffen und wurde dabei nicht von seinem Auftraggeber beobachtet. In einem weiteren Experiment machte man die Entscheidung allerdings transparent. Der Entscheider wusste nun also, dass der Auftraggeber seine Wahl beobachtet. Tatsächlich hatte diese Einführung von Transparenz aber nur einen minimalen Effekt auf die Reziprozität.

Ein wirklicher Effekt zeigte sich nur dort, wo das Produkt des Schenkers massiv unterlegen war. In Bezug auf Politik verheißt das allerdings nicht viel Gutes, denn meist ist ohnehin nicht ganz klar, welche Maßnahme die bessere ist. Dass mehr Transparenz die Häufigkeit von Korruption und die Effektivität von Lobbying reduziert ist also unwahrscheinlich.

Darauf deutet auch das Paper „Full transparency of politicians' actions does not increase the quality of political representation.” von Reiner Eichenberger und Kollegen hin.

Dabei bot die Schweiz den Wissenschaftlern das perfekte empirische Feldexperiment. In der Schweiz besteht die Legislative aus dem Nationalrat und dem Ständerat, welche dieselbe politische Macht haben. Im Nationalrat sind die Entscheidungen bei Abstimmungen einzelner Politiker schon seit 1995 transparent für jeden Schweizer zugänglich. Im Ständerat kam es zu dieser Transparenz erst mit der Einführung von öffentlichen Video-Streams im Jahre 2006.

Dazu stimmen bei den häufigen Referenda in der Schweiz die Bürger und die Politiker über die exakt selben Maßnahmen, sogar mit gleichem Wortlaut, ab. Aus der Differenz zwischen den Entscheidungen der Bürger und den Entscheidungen der Politiker ergibt sich also ein relevanter Maßstab dafür, wie gut die Politiker ihre Wähler repräsentieren.

Das Ergebnis: Die erhöhte Transparenz hat die Divergenz zwischen Politiker-Entscheidungen und Bürger-Entscheidungen nicht relevant verändert.

Neben diesen empirischen Daten, die ganz klar auf eine Ineffektivität des oft propagierten Allheilmittels der Transparenz hindeuten, führt Justin Fox in seinem Paper „Government transparency and policymaking“ noch ein entscheidendes theoretisches Argument in die Diskussion ein.

In vielen Fällen haben Politiker bessere Informationen zu und mehr Wissen über gewisse Maßnahmen als die Bürger. Dies ist vor allem bei sehr komplexe Themen oder bei Themen der inneren und äußeren Sicherheit, bei denen Politiker geheime Informationen haben, der Fall.

Wenn die Entscheidungen für die Wähler intransparent sind, wird der Politiker im Regelfall nach seinem besten Wissen und Gewissen entscheiden. Wenn seine Entscheidungen aber gegenüber seinen Wählern transparent sind, fließen vermehrt strategische Bedenken in seine Entscheidung ein. Er mag also wissen, dass sich die Wähler mit seinen Informationen für Maßnahme x entscheiden würden, da sie die Information aber nicht haben Maßnahme y unterstützen. Wenn seine Entscheidung vollkommen transparent ist, wird er sich womöglich für Maßnahme y entscheiden, obwohl das seinen Wählern eigentlich schadet.

Transparenz eilt ihrem guten Ruf in vielen Fällen sowohl empirisch als auch theoretisch weit hinterher. Oder, um mit einer etwas zynischen Metapher abzuschließen: Glas ist zerbrechlich und in vielen Fällen nicht der optimale Baustoff für stabile Lösungen.

Zum Weiterlesen:

https://www.aeaweb.org/articles?id=10.1257/aer.20140890

http://www.crema-research.ch/papers/2013-17.pdf

https://www.jstor.org/stable/27698082?seq=1