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Distanz – Zeit und Botschafter

Distanz zu den Dingen ist für wirkliche Erkenntnis unumgänglich, das wissen Philosophen und andere Denker schon seit Hunderten von Jahren. Um eine Sache, ein Verhalten oder eine Idee wirklich gut analysieren, studieren und begreifen zu können, braucht es eine gewisse Distanz zum Objekt der Erkenntnis.

Die Frage danach, wie so eine Distanz zu erreichen ist, lässt sich ganz unterschiedlich beantworten. Ironie, Meditation oder gar Beziehungen können hilfreiche Werkzeuge bei der Herstellung von Distanz sein.

Die professionelle Poker Spielerin Annie Duke beschreibt in ihrem Buch „Thinking in bets. Making smarter decisions when you don’t have all the facts.“ zwei weitere praktikable Werkzeuge zur erkenntnisgetriebenen Distanzierung.[i]

Zeitreisen

Zeitreisen ist das erste Werkzeug der Poker-Millionärin. Zur Illustration zwei Kasinobesuche:

Beim ersten Kasinobesuch gewinnt der Spieler gleich in den ersten paar Stunden 1000€, verliert diese aber im Laufe des restlichen Abends vollständig und geht ohne Gewinn, aber auch ohne Verlust, nach Hause.

Beim zweiten Kasinobesuch verliert der Spieler in den ersten paar Stunden 1000€, gewinnt aber im Laufe des restlichen Abends fast alles zurück und geht mit einem Verlust von nur 100€ nach Hause.

In der Situation selbst werden sich die meisten Spieler nach dem zweiten Abend besser fühlen als nach dem ersten. Zwar haben sie beim zweiten Casinobesuch einen Verlust erlitten, doch bleibt ihnen die rasante Aufholjagd am Schluss prägend in Erinnerung. Nach dem ersten Abend hingegen, wird man es bereuen, nicht gleich nach den 1000€ aufgehört zu haben.

Natürliche Irrationalitäten dieser Art begegnen uns nicht nur im Poker, sondern beispielsweise auch im Kontext von finanziellen oder beruflichen Entscheidungen. Um dieser Irrationalität zu entgehen schlägt Annie Duke vor, sich in sein zukünftiges Ich zu versetzen. Die Lage also so zu analysieren, als ob der Casino-Besuch schon vor einem Jahr stattgefunden hätte. Im doppelt imaginären Rückspiegel betrachtet, sieht man dann klarerweise den ersten Casinobesuch positiver als den zweiten.

Botschaft und Botschaft

Wir nehmen Botschaften nicht neutral wahr. Wenn Donald Trump etwas zum Welthandel sagt, nehmen wir das ganz anders auf, wie die gleiche Aussage von Hans Werner Sinn. Wenn Björn Höcke etwas zur Migration sagt, nehmen wir das ganz anders auf, wie die gleiche Aussage von Angela Merkel. Wenn Greta Thunberg etwas zum Klimawandel sagt, nehmen wir das ganz anders auf, wie die gleiche Aussage von Bernard Looney.

Dass unsere Wahrnehmung einer Botschaft so stark vom Botschafter geprägt ist, erschwert unsere objektive und rationale Analysefähigkeit. Um dem zu entgehen, schlägt Annie Duke eine einfache Frage vor: „Was würde ich von dieser Aussage halten, wenn sie Person x getroffen hätte?“, wobei Person x eine Persönlichkeit ist, die in der eigenen Wahrnehmung möglichst unterschiedlich zum ursprünglichen Botschafter ist.

Zum Weiterlesen:

Duke, Annie: Thinking in bets. Making smarter decisions when you don’t have all the facts. New York: 2018.

[i] In ihrem sehr empfehlenswerten Buch finden sich noch einige weitere Ideen, die zu besserem Denken und Entscheiden führen. Über ihren Umgang mit Wahrscheinlichkeit als neuer Wahrheit und dem „resulting“ habe ich schon im ideenraum geschrieben.