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Empathie - wir haben genug!

«Wir brauchen mehr Empathie. Wir brauchen mehr Empathie für zukünftige Generationen, um mit ökologischer Weitsicht zu handeln. Wir brauchen mehr Empathie für Menschen in Armut, um Leid zu bekämpfen.»

Empathie ist mit Sicherheit ein essentieller Faktor für ein humanes Miteinander. Doch Empathie ist auch ein evolutionäres Phänomen, eine Emotion. Dementsprechend orientiert sich die Empathie nicht gerne an Zahlen oder Fakten.

„Empathy has some unfortunate features—it is parochial, narrow-minded, and innumerate. We’re often at our best when we’re smart enough not to rely on it.” – Paul Bloom in seinem Text „The Baby in the Well.”

Psychologisch gesehen setzt sich das Konzept der Empathie aus vier Faktoren zusammen:[i]

1.       Emotionale Empathie beschreibt die Fähigkeit, Mitleid zu empfinden und sich um andere Menschen zu sorgen.

2.       Persönliche Betroffenheit beschreibt die eigenen negativen Gefühle, die als Reaktion auf die negativen Gefühle anderer entstehen.

3.       Kognitive Empathie beschreibt die Fähigkeit, sich in den Standpunkt anderer hineinzuversetzen.

4.       Fantasie beschreibt die Fähigkeit, sich in die Gefühle eines fiktiven Charakters hineinzuversetzen und entsprechend dieser Gefühle zu handeln.

Gemeinhin versteht man unter Empathie vor allem die ersten beiden Faktoren. Jemand ist empathisch, wenn er sich um andere Sorgen macht, persönlich betroffen ist und Mitleid empfindet.

Doch genau diese emotionale Komponente von Empathie ist in vielen Fällen wenig hilfreich oder sogar kontraproduktiv. Denn diese Form der Empathie misst dem Einzelfall immer mehr Gewicht bei als der Statistik. Diese Form der Empathie fällt oft dem Konzept der psychologischen Taubheit zum Opfer – reagiert besonders stark auf individuelle Schicksale aber wird taub, sobald es um große Katastrophen geht.

Was wir brauchen ist kein Mehr an Empathie und Mitgefühl. Wir müssen realisieren, dass das Leben anderer Menschen genauso wertvoll ist wie das unsrige auch wenn wir kein Gefühl von Empathie oder Mitleid für diese Menschen verspüren.

Wir haben genug Empathie. Wir müssen ganz einfach aufhören, die Empathie als moralischen Kompass heranzuziehen. Der moralische Kompass muss das objektive Leid der anderen Menschen sein. Wir brauchen nicht mehr Empathie, damit Menschen mehr spenden. Wir brauchen mehr Menschen, die trotz Empathiemangel signifikante Beträge in effiziente Leidreduktion investieren.

Zum Weiterlesen:

Singer, Peter: The most good you can do. How effective altruism is changing ideas about living ethically. New Haven: 2015.

https://www.newyorker.com/magazine/2013/05/20/the-baby-in-the-well

[i] Diese Gliederung stammt von Peter Singer und seinem Buch „The most good you can do.“. Es gibt auch noch andere Einteilungen, die Grundaussage dieser Einteilungen ist aber immer recht ähnlich: Es gibt eine emotionale und eine kognitive Komponente der Empathie.