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Rationale Irrationalität – kein Oxymoron!

Rationale Irrationalität. Hört sich stark nach Oxymoron an, erklärt aber viele Mysterien des menschlichen Verhaltens.

Menschen vertreten sehr überzeugt Meinungen, obwohl sie schlecht informiert sind. Sind absolut sicher, dass ihr religiöser Glaube der einzig wahre ist oder wählen Parteien und Politiker, deren Maßnahmen ihnen eigentlich schaden.

Der Grund für dieses Verhalten: Irrationalität ist ein ökonomisches Gut.

Der Begriff der rationalen Irrationalität stammt vom US-amerikanischen Ökonomen Bryan Caplan und geht auf das Konzept der rationalen Ignoranz von Anthony Downs zurück.

Die Theorie der Rationalen Ignoranz nimmt an, dass Information ein ökonomisches Gut ist. Informationsbeschaffung ist also mit Kosten verbunden. Ein gut verdienender Manager wird seine Zeit in der Regel nicht damit verbringen, Informationen zu den neusten Schnäppchen im Supermarkt zu studieren. Die Ignoranz dieser Information ist vollkommen rational, da er die Zeit viel produktiver nutzen kann.

Leider gilt das auch in Bezug auf Demokratie. Für viele Wähler ist es vollkommen rational, sich so gut wie gar nicht für Politik zu interessieren, denn der Einfluss, den ihre konkrete Stimme hat, ist minimal.

Allerdings geht Downs, wie man es von Ökonomen gewohnt ist, davon aus, dass die Menschen zwar ignorant sind, mit ihrem eigenen Unwissen aber rational umgehen. Laut seiner Theorie sind Menschen zwar ignorant, sich dessen aber bewusst und wissen so auch, dass ihre politischen oder religiösen Überzeugungen nicht wirklich fundiert sind.

In der Realität sind die meisten Menschen aber sehr überzeugt von ihren politischen und religiösen Standpunkten.

Das veranlasst Bryan Caplan zur Annahme, dass nicht nur Information sondern eben auch Irrationalität ein ökonomisches Gut ist. Wenn die eigenen irrationalen Überzeugungen so gut wie keine Kosten verursachen - wenn man von ihnen also nicht persönlich ökonomisch betroffen ist - ist es vollkommen rational, irrationale Meinungen zu vertreten.

Um ein extremes Beispiel zu nennen: für Hitler war der Glaubenssatz, dass Juden Unmenschen sind mit keinen hohen Kosten verbunden. Als es aber um seinen ehemaligen Leibarzt ging, hörte dieser Judenhass plötzlich auf.

Islamisten sind davon überzeugt, dass sie ins Paradies kommen, wenn sie im heiligen Krieg sterben. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass es für islamistische Kämpfer immer nur eine Variante gibt: Sieg oder Tod. In der Praxis ergeben sich Islamisten aber genauso dem Feind, wie andere Soldaten auch. Der Grund: der Glaube, dass man im heiligen Krieg ins Paradies kommt ist an sich mit keinen Kosten verbunden. Wenn es dann aber konkret um den eigenen Tod geht, steigen die Kosten dieses Glaubens auf einmal drastisch an und viele wenden sich davon ab.

Das gleiche Phänomen ist bei Klimademonstranten zu beobachten, die zwar an Demonstrationen teilnehmen, danach aber die Heimreise mit dem privaten PKW antreten, sich einen Burger bei MC-Donalds holen und noch kurz zu H&M einkaufen gehen.

Aus aktuellem Anlass findet man dieses Phänomen auch bei Impfgegnern. Die Kosten dafür, das eigene Kind nicht impfen zu lassen, sind in der Regel recht gering, vor allem wenn die Durchimpfungsrate der anderen hoch genug ist. Doch wenn die erste Impfung gegen Corona auf den Markt kommt, liegt die Vermutung nahe, dass sich nur sehr wenige Impfgegner jetzt auch nicht impfen lassen. Denn was vorher eine sehr günstige irrationale Überzeugung war ist plötzlich mit massiven Kosten verbunden.

Zum Weiterlesen:

https://www.uv.es/=atortosa/rational%20ignorance.pdf

http://econfaculty.gmu.edu/bcaplan/ratirnew.doc