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Lebenssinn, Durst und Wasser

„Durst, so zitiert Viktor Frankl gerne, ist der beste Beweis dafür, daß (sic) es so etwas gibt wie Wasser. Das Bedürfnis nach Sinn, das wir verspüren, ist der Beweis dafür, daß (sic) es »draußen« in der realen Welt so etwas gibt wie Sinn – […]“ – Franz Kreuzer in seinem Vorwort zu Frankls Buch „Die Sinnfrage in der Psychotherapie“.

Der Fakt, dass wir Durst empfinden ist ein Beweis für die Existenz von Wasser. Wenn es kein Wasser gäbe, hätten wir kein evolutionäres Grundbedürfnis nach diesem Gut. Dieselbe Logik überträgt Viktor Frankl nun auf den Sinn: Wenn es keinen Sinn gäbe, so hätten wir kein Grundbedürfnis nach dieser Idee.

Der Sinn war also schon immer da. Und wir Menschen entwickelten deshalb ein Bedürfnis nach diesem Gut.

Klingt erstmal logisch.

Wir Menschen haben aber auch ein Bedürfnis nach Geld. Geld ist aber keine grundlegende Realität dieser Erde. Wir Menschen haben die Fiktion des Geldes erschaffen und erst danach ein Bedürfnis nach diesem Gut entwickelt.

„There are no gods in the universe, no nations, no money, no human rights, no laws, and no justice outside the common imagination of human beings.” - Yuval Noah Harari in seinem Buch „Sapiens“.

Natürlich ist Geld heute etwas sehr Reales für uns Menschen. Weil wir alle an die Idee des Geldes glauben, beeinflusst diese rein fiktive Idee die Realität und unser aller Leben.

Dennoch besteht ein Unterschied zu Frankls Argument. Denn Wasser war bereits im Vorhinein gegeben - unser Durst ist eine Antwort auf die Realität des Wassers.

Mit dem Geld ist es aber anders. Das Geld war nicht im Vorhinein gegeben, es ist erst in unseren Köpfen entstanden. Nachdem wir eine Fiktion geschaffen haben, entwickelten wir ein Bedürfnis nach dieser Fiktion.

Genauso ist es also vielleicht auch mit dem Sinn. Anders als Frankl meint, ist der Sinn keine grundlegende Realität der Existenz.[i] Vielmehr haben wir die Idee des Sinns ins Leben gerufen und empfinden jetzt – genau wie für das Geld – ein Bedürfnis nach unserer eigenen Fiktion.

Zum Weiterlesen:

Harari, Yuval: Sapiens. A brief history of humankind. Toronto: 2015.

Frankl, Viktor: Die Sinnfrage in der Psychotherapie. München: 1981.

[i] Ich wurde richtigerweise darauf hingewiesen, dass diese These von Frankl aber noch eine zusätzliche Wirkung hat, die über ihre tatsächliche Richtigkeit hinausgeht: Sie gibt den Menschen Sicherheit, da er die Nichtexistenz von Sinn ausschließt.