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Mitleidsverlust – ein tödlicher Denkfehler

Trotz der tragischen Lage vieler unserer Mitmenschen schaffen es die meisten nur selten, sich aufzuraffen und etwas Geld für einen guten Zweck zu spenden. In einem vergangenen Artikel wurde in diesem Zusammenhang beschrieben, wie diverse Genozide der letzten Jahrzehnte von der westlichen Welt großteils ignoriert wurden.

Damals wurde auch schon der entscheidende Mechanismus hinter diesem Phänomen erläutert: der Affekt. Wenn wir uns nur über eine einzige Person in Not Gedanken machen, ist das für unseren evolutionär gewachsenen Denkapparat sehr leicht zu bewältigen. Wir fühlen einen klaren Affekt, haben Mitgefühl und wollen dem anderen helfen.

Wie Wissenschaftler aber zeigen, nimmt dieses Mitleid schon ab zwei Personen ab.

Ein Grund dafür ist die Aufmerksamkeit. Wenn es zwei oder noch mehr Personen gibt, denen man helfen soll, kann man sich nicht voll auf eine Person konzentrieren. Dabei ist gerade die Aufmerksamkeit ein so entscheidender Faktor bei der Entstehung von Affekten und Emotionen.

Doch neben der Aufmerksamkeit gibt es noch einen weiteren dezisiven Grund, der zum rasanten Mitleidsverlust führt. In unserem Denken und Fühlen stellt eine einzige Person eine psychologisch kohärente Einheit dar. In eine Person kann man sich leicht hineinversetzen, sich die Lage wirklich vorstellen. Sobald man hingegen eine Gruppe betrachtet, löst sich diese Kohärenz in Rauch auf und man beginnt die Sache nur mehr sehr oberflächlich zu betrachten.

Wie Daniel Västfjäll et al. in ihrem Paper „Compassion fade: affect and charity are greatest for a single child in need.” beschreiben, bietet genau dieses Phänomen eine große Chance zur Bekämpfung des Mitleidsverlusts.

In einer Studie mit 131 schwedischen Studenten konnten sie nämlich zeigen, dass eine zusammengehörige Gruppe mehr Affekt verursacht als eine Gruppe, die aus unabhängigen Individuen besteht. Wenn man den Studienteilnehmern also 8 Familienmitglieder präsentierte, wurde im Schnitt mehr gespendet, als wenn man einfach 8 Individuen präsentierte.

Hier besteht also großes Potential in der Berichterstattung rund um Krisensituationen und dem Marketing für Spendenaktionen. Wenn man es schafft, die Betroffenen als kohärente Gruppe darzustellen, hat das sehr positive emotionale Effekte und wird zu mehr Spenden und Mitleid führen.

Zum Weiterlesen:

https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0100115

https://www.noahleidinger.com/ideenraum/genozide-wieso-ignorieren