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Rationalität wenn Rationalität gebührt

Sich mit typischen menschlichen Denkfehlern, Biases und kognitiven Verzerrungen auseinanderzusetzen ist essentiell, wenn man gute, rationale und wahrheitsgetreue Entscheidungen treffen will. Doch man darf nicht den Fehler machen, die eigene Rationalität zu überschätzen und evolutionär entwickelte Denk- und Entscheidungsmuster zu unterschätzen.

Der wohl bekannteste Bias ist jener der Verlustaversion. Menschen bewerten also den Verlust von x negativer als sie den Gewinn von x positiv bewerten. Ein etwas weniger bekannter aber mindestens so spannender Bias ist der sogenannte Sicherheitseffekt. Dieser besagt, dass Entscheider Ereignisse, die sicher sind, im Vergleich zu Ereignissen, die nur sehr wahrscheinlich sind, stark überbewerten. Das bedeutet, dass ein Sprung der Wahrscheinlichkeit von 99% auf 100% tendenziell weitaus höher bewertet wird, als e.g. ein Sprung von 50% auf 51%.

Allerdings ist es zu einfach, diese menschlichen Biases kategorisch als irrationales Verhalten abzutun. Bei den psychologischen Experimenten mit denen man diese kognitiven Verzerrungen feststellt, handelt es sich nämlich immer um einzelne voneinander unabhängige Entscheidungssituationen. Im echten Leben hingegen handelt es sich bei den meisten Entscheidungen um zusammenhängende Themenkomplexe mit vielen sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren.

Und im Gegensatz zu einzelnen separaten Entscheidungssituationen ist es bei den vielen voneinander abhängigen Entscheidungen im realen Leben durchaus sinnvoll, Verluste etwas höher zu bewerten, als Gewinne. Wenn nämlich durch Zufall in mehreren Lebensbereichen gleichzeitig Verluste auf einen zukommen, kann es sein, dass man dadurch wirtschaftlich oder psychologisch ruiniert wird.

Da also der Gesamteffekt der verbundenen Einzelrisiken größer ist, als die Summe der Einzelrisiken, muss ein rationaler Entscheider in seinen Entscheidungen auch den Gesamteffekt miteinbeziehen.

Das bedeutet nicht, dass unsere Biases nicht in vielen Fällen zu schlechten und irrationalen Entscheidungen führen. Wenn es beispielsweise um einzelne Investitionsentscheidungen geht, ist es immer noch besser sich auf die reine Rationalität und nicht irgendwelche evolutionären Mechanismen zu verlassen.

Gerade wenn es aber um große zusammenhängende Themenkomplexe geht, sollte man die natürlichen Entscheidungsheuristiken nicht von vornherein als sinnlos abtun, sondern überdenken, ob nicht doch eine gewisse evolutionäre Rationalität hinter ihnen steckt und das Bauchgefühl eine bessere Entscheidung liefert, als die rational durchdachte Strategie.

Zum Weiterlesen:

https://medium.com/incerto/the-logic-of-risk-taking-107bf41029d3

https://www.its.caltech.edu/~camerer/Ec101/ProspectTheory.pdf