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Schwebendes Wissen

Das Rezept für eine hitzige Diskussion: Man bringt eine spirituelle und eine weniger spirituelle Person an einen Tisch und stellt die Frage nach der Existenz einer menschlichen Seele.

Natürlich gibt es eine Seele – so die These der spirituellen Person.

Natürlich gibt es keine Seele – so die These der weniger spirituellen Person.

Das Problem an dieser Diskussion: Die beiden diskutieren über schwebendes Wissen.

Schwebendes Wissen ist Wissen, welches an keine Erfahrung gebunden ist.

Wenn ich über die Gesetze der Gravitation Bescheid weiß, so ist dieses Wissen mit einer gewissen Erwartungshaltung verbunden. I.e. wenn ich den Stift los lasse, fällt er zu Boden und fliegt nicht in den Himmel.

Bei dem Glauben an eine Seele ist das anders. Denn für die meisten Gläubigen gibt es keine Erfahrung, die sie vom Gegenteil überzeugen würde. Für eine rationale Überzeugung brauche ich aber genau das. Ich muss wissen, welche Erfahrung in der Realität meine Überzeugung widerlegen würde.

Die beiden Diskutanten sollten also nicht über die Existenz einer Seele diskutieren. Vielmehr sollten sie sich fragen, welche unterschiedliche Erwartung sie in Bezug auf die Realität haben.

Wenn aber beide die exakt selbe Erwartung in Bezug auf die Realität haben, so diskutieren sie über nichts als Semantik.

Zum Weiterlesen:

Yudkowsky, Eliezer: Map and Territory. Rationality: From AI to Zombies. Berkeley: 2018.