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Urbanisierung der Komplexität

Die 10 innovativsten Städte der USA sorgen für 48% der Patente des Landes, obwohl sich lediglich 23% der Bevölkerung dort aufhalten. Nicht nur Menschen, sondern auch Ideen und Innovationen zeigen eine starke Tendenz zur Urbanisierung.

Dass diese Tendenz immer weiter ansteigt überrascht – sollten moderne Transportmittel und digitale Kommunikationswege doch eigentlich zu einer stärkeren Verbreitung von Innovation führen. In der Praxis ist genau das Gegenteil der Fall.

Und noch ein Trend sticht sofort ins Auge: Die Größe der Bevölkerung einer Stadt und ihr ökonomischer Output stehen in einem superlinearen Zusammenhang. Sprich: Je mehr Bewohner, desto höher der Output pro Bewohner.

Pierre-Alexandre Balland und Kollegen gehen in ihrem kürzlich erschienenen Paper „Complex economic activities concentrate in large cities“ davon aus, dass man diese beiden Trends mit dem Maß an Komplexität erklären kann.

Dabei haben sie die urbane Konzentration von Wissenschaftlichen Artikeln, Patenten, Berufsgruppen und Industrien in den USA analysiert. In allen vier Bereichen waren die Ergebnisse eindeutig: je komplexer das jeweilige Thema, desto höher die urbane Konzentration.[i]

Patente im Bereich der Hardware und Software versammeln sich beispielsweise sehr intensiv auf einige wenige Städte, während Patente auf dem Gebiet der Klempnerei viel weniger stark konzentriert sind.

Und diese Tendenz ist keine Neuheit. Seit 1850 ist die Konzentration der komplexesten Patente stetig angestiegen. Angetrieben wurde dieser Anstieg von der zweiten Industriellen Revolution in den 1870er Jahren und der dritten Industriellen Revolution in den 1970ern.

Komplexe Technologien konzentrierten sich schon immer stärker als einfachere Technologien. Und seit 1970 zeigt sich ein weiterer Trend. Während die Konzentration komplexer Technologien immer weiter ansteigt, nimmt jene einfacher Technologien sogar ab.

Die Einordnung als komplexe Technologie ist dabei eine Momentaufnahme und keine fixierte Definition. Mitte des 19. Jahrhunderts ging es dabei vor allem um mechanische Innovationen. Nach 1870 spielte Elektronik eine immer größere Rolle. Seit den 1950er Jahren geht es um Innovationen in der Computer- und Kommunikationstechnik sowie den Bereich der Medizin und Pharmazeutik.

Der Grund für die starke Konzentration komplexer Technologien: Die Entwicklung solcher Technologien erfordert eine große Menge an Spezialisten, die alle in ihren kleinen Nischen Experten sind. Dazu kommen die unsichtbaren Faktoren der städtischen Nähe. Innovative Kräfte in Wissenschaft und Wirtschaft stehen durch ihre Mitarbeiter in der Stadt im direkten Austausch. Die Infrastruktur entwickelt sich dort am schnellsten und auch die Talente zieht es in die Technologie-Zentren.

Für den Westen sind das nicht nur gute Nachrichten. Vorreiter bei Megastädten ist aktuell mit weitem Abstand China. Solche Megacities bringen zwar auch Nachteile mit sich, in Bezug auf technologische Innovationen sind derartige Metropolen aber ein entscheidender Schlüssel.

Natürlich sollte man in Europa deshalb nicht künstlich neue Millionenstädte aufbauen, doch eine Politik, die auf eine effektive Urbanisierung abzielt, ist unabdingbar, wenn man bei den hochkomplexen Technologieentwicklungen als Vorreiter dabei sein will.

Zum Weiterlesen:

https://static1.squarespace.com/static/5759bc7886db431d658b7d33/t/5e1c9bf30b6183780c297e73/1578933244426/BallandEtAl_NHB_2020.pdf

[i] Komplexität wurde auf verschiedene Arten und Weisen gemessen. Bei den Patenten sieht man sich zwei Faktoren an. Zum einen misst man die Anzahl an Erfindern, die an einem Patent beteiligt waren. Zum anderen untersucht man, auf wie viele kürzlich erschienene andere Patente das jeweilige Patent Bezug nimmt. Im wissenschaftlichen Bereich untersucht man die durchschnittliche Größe des Teams, das an einer Publikation beteiligt war. Bei den Berufsgruppen und Industrien wird die durchschnittliche Ausbildungsdauer der beteiligten Arbeiter als Maßstab für die Komplexität herangezogen.