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Phänotyp der Wirtschaft

Bis vor einigen Jahrzehnten war die Funktionsweise pflanzlicher und tierischer Genetik eine absolute Black-Box. Allerdings gab es bereits im 19. Jahrhundert Genetiker, die Fortschritte auf dem Gebiet der Genetik zu Stande brachten und unser Wissen über Erbmechanismen vorantrieben.

Grund dafür ist das genetische Konzept des Phänotyps. Der Phänotyp ist die Menge aller beobachtbaren Merkmale, die ein Lebewesen aufweist. Selbst wenn man also gar nichts über die genetischen Mechanismen an sich weiß, kann man von der Korrelation unterschiedlicher Phänotypen gewisse Regelmäßigkeiten ableiten und so zu Erkenntnis gelangen.

„This duality is useful because it implies that we can measure the most visible quantity as a proxy for the other.” - César Hidalgo in seinem Buch “Why information grows. The evolution of order, from atoms to economies.”

Auch der chilenische Physiker César Hidalgo wurde in seiner Arbeit zu wirtschaftlichen Mechanismen mit einer ähnlichen Black-Box konfrontiert wie die Genetiker des 19. Jahrhunderts: Knowhow und Knowledge sind ein essentieller Antrieb der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Staates. Allerdings ist es ein Ding der Unmöglichkeit, das Knowledge und Knowhow in einem Land direkt quantitativ zu messen.

Die Kernidee zur Lösung dieses Problems besteht darin, Industrien als Phänotypen zu betrachten. Das Wissen in einem Land, welches nur Rohstoffe exportiert, ist vermutlicher geringer als in einem Land mit intensiver Produktion technologisch fortschrittlicher Produkte.

Bleibt nur die Frage, wie man den Unterschied misst. Um wie viel mehr Knowledge und Knowhow erfordert der Bau von Automobilen gegenüber dem Export von Rohöl?

Dazu sieht man sich zuerst an, wie viele Länder ähnliche Produkte produzieren. Wenn unzählige Länder Papier herstellen, aber nur wenige Staaten hochkomplexe Computerchips, dann sind Computerchips vermutlich komplexer als Papier.

Allerdings gibt es Produkte, wie beispielsweise seltene Rohstoffe, die nur von wenigen Ländern exportiert werden, aber kein hohes Maß an Wissen erfordern.

Um dieses Problem zu umgehen, führt Hidalgo den Faktor der wirtschaftlichen Diversität ein. Hohe wirtschaftliche Diversität bedeutet, dass ein Staat in vielen verschiedenen Industrien aktiv ist.

Nationen, die wirtschaftlich divers sind und dabei seltene Produkte produzieren, haben schlussendlich ein hohes Maß an ökonomischer Komplexität - besitzen also viel wirtschaftlich produktives Knowledge und Knowhow.

Zum Weiterlesen:

Hidalgo, César: Why information grows. The evolution of order, from atoms to economies. Philadelphia: 2015.

https://ourworldindata.org/how-and-why-econ-complexity