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Hypothese der „Labilen Welt“

Eine Atombombe zu bauen, ist theoretisch nicht sonderlich kompliziert. Praktisch gesehen stellt sich das ganz anders dar: Schon am Rohstoff – einige Kilogramm an Uran oder Plutonium – werden die meisten Bauversuche scheitern. Für die Menschheit ist das ein glücklicher Zufall.

Ein glücklicher Zufall.

1933 kam Leó Szilárd auf die Idee der nuklearen Kettenreaktion. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass diese Kettenreaktion nur mit erheblicher technischer Expertise zu erreichen ist. Was aber, wenn sich das Gegenteil herausgestellt hätte? Nehmen wir an, man hätte diese Kettenreaktion mit zwei Scheiben Metall und etwas elektrischen Strom erzeugen können. Jede kleine Terrormiliz hätte eine Atombombe bauen können. Die Menschheit wäre binnen weniger Monate vom Erdboden verschwunden und der Erdboden mit ihr.

Natürlich ist das nur ein Gedankenspiel, doch es ist nicht so abwegig, wie es auf den ersten Blick scheint. Diese kontrafaktische Geschichte stammt vom berüchtigten Philosophen Nick Bostrom und seinem Paper „The vulnerable world hypothesis.“

Man kann menschliche Kreativität als eine Hand betrachten, die aus einer Urne an möglichen Innovationen und Ideen immer wieder neue Kugeln herauszieht.[i] Die meisten Kugeln der Vergangenheit waren weiß – stellten also positive Entwicklungen dar, die die Menschheit weiterbrachten.[ii] Viele Entwicklungen waren grau – hatten sowohl positive als auch negative Auswirkungen. Manche waren auch dunkelgrau – stellten also negative Entwicklungen dar, zerstörten aber nicht die gesamte Menschheit.

Was wir bisher noch nicht hatten: eine schwarze Kugel. Eine schwarze Kugel stellt eine technische Innovation dar, die bei unseren aktuellen Formen des politischen Zusammenlebens unweigerlich zur Extinktion der Menschheit führt.

Mit aktuellen Formen des politischen Zusammenlebens ist zum einen gemeint, dass es keine vollkommene Kontrolle innerhalb von Staaten und zwischen Staaten gibt. Sprich: Es kann weder von einer Regierung zu 100% verhindert werden, dass Bürger Verbrechen begehen. Noch kann von irgendeiner internationalen Organisation zu 100% verhindert werden, dass einzelne Staaten verbrecherisch agieren.

Zum anderen ist damit gemeint, dass wir eine weite Bandbreite an Interessen haben. Das hat zur Folge, dass es immer irgendeine Gruppe an Menschen geben wird, die böse Absichten hat und sogar bereit ist, den Rest der Menschheit auszulöschen.

Dazu kommt, dass wir in der Geschichte immer nur gezogen, aber nie zurückgelegt haben. Wir haben bisher noch keinen Mechanismus gefunden, mit welchem wir unerwünschte oder schädliche Innovationen und Ideen rückgängig machen können.

Wenn wir also unter diesen Voraussetzungen eine schwarze Kugel aus der Urne ziehen, dann war es die letzte Kugel, die die Menschheit je gezogen hat. Natürlich ist nicht sicher, ob es so eine schwarze Kugel überhaupt gibt, noch ist sicher, ob wir die Kugel jemals ziehen werden. Dennoch scheint diese Hypothese durchaus plausibel und sollte nicht einfach als unsinniges Gedankenspiel abgetan werden.

Dabei ist nicht nur das bisher genannte Szenario einer schwarzen Kugel denkbar. Auch andere technologische Gegebenheiten, hätten eine „Labile Welt“ zur Folge. Auf diese Gegebenheiten, wird im morgigen Artikel näher eingegangen.

Zum Weiterlesen:

https://nickbostrom.com/papers/vulnerable.pdf

[i] Die Analogie der Urne hinkt an manchen Stellen. Beispielsweise handelt es sich um eine stufenweise Urne: Manche Kugeln kann man also nur herausziehen, wenn man davor schon andere herausgezogen hat. I.e. die Kugel der nuklearen Kettenreaktion kann man nur herausziehen, wenn man die Kugeln der physikalischen Grundlagen bereits entnommen hat. Die Metapher ist zur Analyse des Sachverhalts dennoch sehr nützlich.

[ii] Natürlich werden einige argumentieren, dass die meisten technischen Innovationen schlecht waren und wir unser bestes Leben in der Steinzeit geführt haben. Darüber kann man diskutieren, das ist aber nicht das Thema dieses Artikels.