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Ebenen der Freiheit - Gefängnis

Das Louisiana State Penitentiary ist mit seinen 6000 Gefangenen, die ein durchschnittliches Strafmaß von 92 Jahren absitzen, das größte Hochsicherheitsgefängnis der USA. Aufgrund der Plantagen, die sich früher auf dem Gebiet dieser berüchtigten Haftanstalt befanden, wird das Gefängnis als „Angola“ bezeichnet.

“The fact that making pralines was possible in a maximum-security prison is surprising. Cooking them requires lots of ingredients, as well as pots, a hotplate and an oven. Complex on the outside, this would seemingly be impossible inside. ‘Prisoners are never powerless,’ says Wilbert Rideau, explaining an aspect of prison life that few on the outside understand.” – Richard Davies in seinem Buch “Extreme Economies: Survival, Failure, Future. Lessons from the World’s Limits.”

Abgesehen vom harten Gefängnisalltag existiert in Angola eine florierende informelle Wirtschaft. Manche Häftlinge bieten gegrillte Hühnerteile an, andere schneiden ihren Mithäftlingen die Haare. Das ist zwar theoretisch nicht erlaubt, wird von der Gefängnisleitung aber geduldet. Denn in einem Gefängnis gibt es nicht nur ein Level an Macht und Freiheit. Auf dem untersten Level, wenn es um die Interaktion zwischen einzelnen Häftlingen geht, haben auch Gefangene ein hohes Maß an Selbstbestimmung. Würde man selbst diese Freiheit verbieten, wären Aufstände und Revolten die unvermeidliche Folge. Man gewährt den Häftlingen also Freiheit auf dem untersten Level, um so die Kontrolle auf einer Meta-Ebene zu behalten.

„Der Mensch ist nicht mehr der eingeschlossene, sondern der verschuldete Mensch.“ – Gilles Deleuze in seinem „Postskriptum über die Kontrollgesellschaften“.

Doch diese Ebenen von Freiheit und Macht sind kein Phänomen das nur Gefängnisse betrifft. Ganz im Gegenteil. Das Gefängnis als geschlossenes System ist lediglich leichter zu durchschauen als eine komplexe offene Gesellschaft.

Gilles Deleuze beschreibt in seinem bekannten Text über die Kontrollgesellschaften, dass wir heute nicht unbedingt freier sind als früher, es aber immer schwerer wird, unsere Unfreiheit zu erkennen. In der alten Disziplinargesellschaft mit klaren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen, musste man die Menschen quasi in ein fixes System einsperren und sie disziplinieren. Die Fabrik ist hier das beste Beispiel.

In der heutigen Kontrollgesellschaft hingegen hat man viele Freiheiten - ist nicht mehr so stringent an einen Betrieb oder eine Fabrik gefunden. Die Fabrik wurde durch Unternehmen abgelöst innerhalb und zwischen welchen man sich frei bewegen kann. Auch die Schule ist nicht mehr so stark auf Disziplin ausgerichtet. Vielmehr geht es darum, dass sich die Menschen ewig fortbilden – also ewig in der Kontrolle bleiben. Damit haben die Menschen zwar scheinbar mehr Freiheit, bewegen sich aber in einem genauso engen Rahmen wie früher. Nur, dass Kontrolle weniger sichtbar ist, als konkrete Disziplinierung.

Dabei wird das eigene Verständnis von Freiheit durch jene Freiheit geprägt, die einem gewährleistet wird. Man weiß also gar nicht, auf welcher Schicht von Freiheit und Macht man sich bewegt. Man ist vielleicht nur in der untersten Schicht und fühlt sich frei. Doch in Wahrheit bewegt man sich genau in den Grenzen des vorgegebenen Rahmens.

Die Frage, die man sich also öfter stellen muss: Auf welcher Ebene von Macht und Freiheit befinde ich mich? Welche Freiheit wird gewährleistet, um das Freiheitsbestreben auf einer höheren Ebene einzudämmen?

Zum Weiterlesen:

http://www.formatlabor.net/nds/Deleuze-Postskriptum.pdf

Davies, Richard: Extreme Economies: Survival, Failure, Future. Lessons from the World’s Limits. London: 2019.