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Erweitertes Denken & Bewusstsein

Wir rechnen mit Stift und Papier, machen Skizzen, erstellen Diagramme. Wir tun all das, um die Dinge besser zu verstehen.

In einer Studie aus dem Jahr 1994 hat man festgestellt, dass es circa eine Sekunde dauert, um ein einfaches geometrisches Objekt im eigenen Kopf um 90 Grad zu drehen. Mit einem Computer gelang dieselbe Drehung in etwa 300 Millisekunden – weniger als einem Drittel der Zeit.

Ähnlich ist die Situation bei den Smartphones. Gerade wenn es um Faktenwissen geht, greift man eher zum Smartphone, als lange das eigene Gedächtnis zu durchforsten.

Damit übernehmen aber das Handy, der Computer oder auch Stift und Papier eine Funktion, die sonst unser Gehirn ausführen würde. Diese Objekte werden zum Bestandteil unseres Denkens – ein Bestandteil genau wie das Gehirn selbst.

Diese These des ausgedehnten Denkens wurde erstmals von Andy Clark und David Chalmers in ihrem Paper „The extended mind“ vorgeschlagen und sie blieb nicht ohne Kritik.

Denn die Idee der beiden Philosophen klingt intuitiv nicht ganz richtig: Natürlich helfen diese Werkzeuge beim Denken, aber schlussendlich läuft Denken immer noch im Gehirn ab. Der große Unterschied ist eben, dass man die Ergebnisse der Werkzeuge erst wahrnehmen muss, während alles im Gehirn direkt miteinander verbunden ist.

Unser intuitives Verständnis vom Denken sieht also die Grenzen dort, wo die Wahrnehmung anfängt. Und dieses Verständnis ist mit Sicherheit nicht falsch, die Frage ist nur, wie hilfreich es ist.

Viele Konzepte und Ideen sind mit Unterstützung von externen Hilfsmitteln viel einfacher zu verstehen als in rein imaginären Denkprozessen. Unser Denkapparat ist evolutionär geprägt und entwickelt sich sehr langsam – auf der Ebene der externen Denkprozesse ist viel schnellerer Fortschritt möglich. Auch passiert im externen Denkprozess im Grunde genau das Gleiche wie im internen – wenn ich ein Objekt in meinem Kopf drehe bekomme ich schlussendlich dasselbe Ergebnis, wie wenn ich es am Computerbildschirm drehe.

Das Denken nur auf das Gehirn zu fokussieren und eine Grenze bei der Wahrnehmung zu ziehen, ist also aus zwei Gründen nicht sinnvoll:

Es unterschlägt die hohe Wichtigkeit von Tools und Werkzeugen, die uns helfen komplexe neue Themen besser zu verstehen.

Es ist eine unnötige Trennung. Eine Erklärung sollte so komplex wie nötig, aber so einfach wie möglich sein. Hier eine Trennlinie einzuziehen, ist vielleicht intuitiv, scheint aber unnötig komplex.

Allerdings gibt es eine Ebene, auf welcher diese Trennlinie eine wichtige Bedeutung hat: die Ebene des Bewusstseins. Elon Musk will mit seinem Startup Neuralink auf lange Sicht, Elektroden in das Gehirn von Menschen einpflanzen, um eine nahtlose Verbindung zwischen Technologie und Gehirn herzustellen.

Er spricht gerne davon, dass wir so eine direkte Verbindung ohnehin schon haben: Unser Smartphone tragen wir stetig mit uns herum und verwenden es für die verschiedensten Denkprozesse.

Der Philosoph David Chalmers sieht aber einen entscheidenden Sprung zwischen dem Smartphone und Elektroden im Gehirn. Seiner Ansicht nach ist es für das Bewusstsein sehr wohl nötig, dass eine sehr direkte Verbindung zwischen den einzelnen Bestandteilen besteht. Eine externe Quelle, die wir erst wahrnehmen müssen, kann also Teil des Denkens nicht aber Teil des Bewusstseins sein.

Bei Elektroden, die direkt im Gehirn eingepflanzt werden, sieht das anders aus. Man muss die Informationen dieser Elektroden nicht erst wahrnehmen. Sie sind direkt im Gehirn genau wie Nervenzellen.

Der wichtige Unterschied zwischen einem Gehirnimplantat und einem Smartphone besteht also auf der Ebene des Bewusstseins.

Zum Weiterlesen und Weiterhören:

https://www.nyu.edu/gsas/dept/philo/courses/concepts/clark.html

https://philpapers.org/archive/CHAECA-9.pdf

https://www.youtube.com/watch?v=smK9dgdTl40