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Stille Atheisten und UCT

Wer sich mit Religionen, ihrem psychologischen Ursprung und ihrem Zweck beschäftigt, muss sich unweigerlich mit Atheisten befassen – einer Gruppe, die ohne den Glauben an einen Gott auskommt.

Wie bei diversen anderen gesellschaftlich heiklen Themen ist die statistische Erfassung von Atheismus keine simple Angelegenheit. Vor allem in Staaten mit einer ausgeprägten Religionskultur – wie den USA – ist es immer noch verpönt, ein Atheist zu sein.

Deshalb liegt die Annahme nah, dass viele Studien die Prävalenz von Atheismus in der Gesellschaft unterschätzen. So geht man in den USA gemeinhin davon aus, dass circa 10% der Bevölkerung Atheisten sind. Doch diese Statistiken weisen einen starken Bias auf, da viele ihren Atheismus aufgrund sozialer Einflüsse nicht preisgeben.

Genau mit diesem Problem setzen sich die beiden Psychologen Will M. Gervais und Maxine B. Najle in ihrem Paper „How many atheists are there?“ auseinander.

Menschen direkt nach ihrem Glauben zu befragen liefert stark verzerrte Ergebnisse. Also verwendeten Gervais und Najle in ihrer Studie die Unmatched-Count-Technik.[i]

Zuerst teilt man die Studienteilnehmer in zwei Gruppen auf. Die Teilnehmer der ersten Gruppe erhalten eine Reihe an harmlosen Aussagen und müssen angeben, wie viele der Aussagen zutreffend sind. Entscheidend dabei: Man muss nur angeben, wie viele Aussagen zutreffend sind, aber keine Angaben dazu machen, welche Aussagen richtig sind.[ii]

Die Teilnehmer der zweiten Gruppe bekommen dieselbe Liste an harmlosen Aussagen mit einer Ausnahme: Zur Liste wird die Frage hinzugefügt, ob man an Gott glaubt.

Aus der durchschnittlichen Anzahl an zutreffenden Aussagen in beiden Gruppen kann man statistisch ableiten, wie viele Teilnehmer an Gott glauben.[iii]

Das Ergebnis war erwartungsgemäß um einiges höher als in anderen Studien, sodass im Schnitt circa 26% der Teilnehmer indirekt angaben, Atheisten zu sein.

Viel spannender sind aber zwei demografische Ergebnisse der Studie.

In direkten Umfragen bekennen sich Männer viel öfter zum Atheismus als Frauen. Bei der direkten Umfrage von Gervais und Najle ist dieser Unterschied fast vollkommen verschwunden.[iv]

Fast noch interessanter: In direkten Umfragen gibt es einen großen Unterschied zwischen Millennials und der Baby-Boomer-Generation, sodass weitaus mehr Millennials bekennende Atheisten sind. Bei der indirekten Umfrage ist dieser Unterschied vollkommen verschwunden – Baby-Boomer und Millennials weisen also ähnliche Atheismus-Raten auf.

Zum Weiterlesen:

https://www.gwern.net/docs/philo/2017-gervais.pdf

[i] Die Studie wurde per Online-Umfrage mit 4000 US-Amerikanern durchgeführt.

[ii] Zu den harmlosen Aussagen zählen unter anderem: „Ich bin ein Vegetarier.“ oder „Ich mag moderne Kunst.“

[iii] Die Studie der beiden war natürlich etwas ausgeklügelter. In einem ersten Durchgang mit 2000 Teilnehmern gab es noch eine dritte Gruppe, deren Teilnehmer ganz klassisch dazu befragt wurden, ob sie Atheisten sind oder nicht. In einem zweiten Durchgang gab es wiederum 2000 Teilnehmer und wiederum eine dritte Gruppe. Diesmal bekam die Dritte Gruppe auch eine Liste an harmlosen Aussagen mit Ausnahme einer absurden Aussage („Ich glaube nicht, dass 2+2 kleiner als 13 ist). Allerdings ist anzumerken, dass die Studie bei der dritten Gruppe absurde Ergebnisse lieferte, sodass einige Teilnehmer scheinbar angaben, die absurde Aussage für richtig zu halten. Da die restlichen Ergebnisse der Studie aber sehr vernünftig scheinen, sollte man diesem fehlgeschlagenen UCT-Test nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken.

[iv] Bei direkten Umfragen bekennen sich Männer mit 77% höherer Wahrscheinlichkeit als Frauen. Bei der indirekten Umfrage lag der Unterschied nur mehr bei 16%.