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Einfachheit ungleich Verfügbarkeit

Vor Kurzem diskutierte ich über folgendes Thema: Wie soll man einen Freund beraten, der um einen Ratschlag bittet.

Für mich lag die Antwort recht schnell auf der Hand. Ich gebe keine konkreten Ratschläge. Ich frage nach, fasse zusammen und versuche so herauszuholen, was der Freund ohnehin schon unterbewusst weiß.

Soweit so gut. Nun kam aber ein durchaus berechtigter Kritikpunkt an meiner Vorgehensweise auf: Der Freund fragt mich als Freund um einen Ratschlag. Ist es also nicht auch meine Pflicht, mir als Freund Platz in der Entscheidung zu nehmen – also meine Emotionen und Gedanken miteinfließen zu lassen?

Ein einfaches Wiederspiegeln der eigenen Gedanken kann mir auch der nächstbeste Therapeut liefern. Diese Rolle des objektiven Reflektierens ist einfach und generisch, sie macht mich als Freund durch jeden anderen ersetzbar.

Ich halte diese Kritik aus zweierlei Gründen für inkorrekt.

Erstens.

Generisch und einfach bedeutet nicht unbedingt verfügbar. Meiner Erfahrung nach gibt es nämlich nur wenige Menschen, die in der Lage sind, sich selbst herauszunehmen und lediglich als Spiegel zu agieren. Die natürlichere Reaktion besteht darin, die eigenen Gedanken und Emotionen ganz offen zu äußern. Vor allem in einer freundschaftlichen Beziehung.

Die Rolle des objektiven Spiegels mag also generisch und einfach sein. Sie ist aber eine seltene Rolle, die nur wenige Freunde einnehmen.

Zweitens.

Alleine durch die Art und Weise, wie ich nachfrage, wie ich die Gedanken des anderen spiegle, nehme ich mir Platz. Ich werde also auch bei versuchter Objektivität immer subjektiv bleiben.

Nur weil ich also versuche, die eigenen Emotionen und Gedanken außen vor zu lassen, bin ich nicht gleich durch den nächstbesten Therapeut ersetzbar. Ich erreiche damit aber, dass meine subjektive Einschätzung keine allzu große Rolle spielt.