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Soziales Dilemma des Erfolgs

James Dewey Watson ist einer der erfolgreichsten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Mit seiner Entdeckung der Doppelhelix-Struktur der DNA hat er den Grundstein für eine breite Bandbreite an biologischen und medizinischen Entwicklungen gelegt.[i]

Ein Grund für seinen Erfolg: Glück und Zufall.

Wie er selbst im Essay „Succeeding in science: Some rules of thumb.” beschreibt, waren es vor allem zufällige Ereignisse, die ihn zum Forschungsgebiet der Genetik führten. Dennoch forschten auch viele andere Wissenschaftlern zur selben Zeit an derselben Thematik. Viele andere Wissenschaftler mit gutem Timing und hoher Intelligenz.

Was Watson ihnen voraus hatte war unter anderem der richtige Umgang mit dem sozialen Dilemma des Erfolgs.

Der erste entscheidende Faktor: Soziale Robustheit.

„To succeed in science, you have to avoid dumb people […].” – J.D. Watson in seinem Essay „Succeeding in science: Some rules of thumb.”

Wer bahnbrechende Leistungen vollbringen will, der muss sich nach oben orientieren. Das bedeutet auch, sich vor allem jenen Menschen zuzuwenden, die intelligenter sind als man selbst.

Und hier kommt es zum ersten Dilemma. An dem Punkt, an welchem die ehemaligen Helden und Vorbilder zu eingespielten Partnern werden, muss man Risiken eingehen und eigene Wege einschlagen.

„But to get where you want to go, you even have to be prepared to give up your second parents.” – J.D. Watson in seinem Essay „Succeeding in science: Some rules of thumb.”

Watson berichtet, seinen wissenschaftlichen Vater Paul Weiss so verärgert zu haben, dass dieser ihm das Stipendium strich. Das besonders Paradoxe an der Situation: Watson wusste, dass Weiss recht hatte. Watson ließ sich nämlich auf eine Position in Cambridge ein, für die er keinesfalls ausreichend Wissen oder Erfahrung hatte. Doch, um den nächsten Durchbruch zu schaffen, musste er in Fußstapfen treten, die ihm eigentlich zu groß waren.

Soziale Robustheit beschreibt also ganz einfach die Fähigkeit, sozial unangenehme Schritte zu gehen und sich von Menschen zu distanzieren, die einem Hürden in den Weg legen. Die Idee der sozialen Robustheit bestätigt eine weit verbreitete Annahme unter jungen Wissenschaftlern: Man kann in Ruhe seine Arbeit machen, muss sich nicht zu sehr mit den Interessen anderer Menschen beschäftigen – der perfekte Platz also, wenn man introvertiert und menschenscheu ist.

Doch genau an dieser Stelle unterscheidet sich Watson von vielen seiner ehemaligen Wettbewerber. Das soziale Dilemma des Erfolgs erfordert zwar manchmal soziale Robustheit, die soziale Aktivität spielt aber eine mindestens so große Rolle.

Zum einen hatte Watson stets ein Sicherheitsnetz. Nachdem Paul Weiss das Stipendium strich, hatte Watson in John Kendrew bereits einen neuen Unterstützer gefunden, der ihm eine kostenlose Unterkunft zur Verfügung stellte. Nur wer eine gewisse Sicherheit im Rücken hat, kann radikale und couragierte Schritte gehen.

Doch das eigene soziale Netzwerk ist nicht nur ein Sicherheitsnetz, sondern ein essentieller intellektueller Antrieb.

„Constantly exposing your ideas to informed criticism is very important, and I would venture to say that one reason both of our chief competitors failed to reach the Double Helix before us was that each was effectively very isolated.” – J.D. Watson in seinem Essay „Succeeding in science: Some rules of thumb.”[ii]

Dabei ist vor allem auch entscheidend, dass man sich mit Menschen umgibt, die einen intellektuell antreiben. Das bedeutet auch, sich mit Wettbewerbern und unsympathischen Personen auszutauschen.

Im Grunde verkörpert dieser Faktor auch das Problematische am sozialen Dilemma des Erfolges: Man muss Menschen mit sozialer Robustheit begegnen, die man sehr schätzt. Gleichzeitig muss man Menschen, die man weniger schätzt, mit sozialer Proaktivität begegnen.

Zum Weiterlesen:

https://wilkelab.org/classes/BIO384C/fall_2015/Ochman_Week1_Watson_Rules_of_thumb.pdf

[i] Er hat die Doppelhelix-Struktur nicht alleine, sondern vor allem in Zusammenarbeit mit Francis Crick entdeckt.

[ii] Mir ist bewusst, dass diese Aussage von einem enormen Survivorship-Bias geprägt ist. Die Wichtigkeit der sozialen Kontakte im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess bestätigen aber auch andere erfolgreiche Wissenschaftler immer wieder.