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Von Bismarck zu Hitler – 5 Aspekte

In seinem Buch „Von Bismarck zu Hitler. Ein Rückblick“ illustriert Sebastian Haffner die Geschichte des Deutschen Reiches, welches seiner Ansicht nach von 1871 bis 1945 existierte. Während sich Haffners abschließende Prognose nicht bewahrheitete – er hielt einen Zusammenschluss von BDR und DDR für sehr unrealistisch – ist seine historische Betrachtung der Bismarck und Hitlerzeit umso spannender.

In diesem Artikel werden fünf besonders interessante Punkte aus seinen Darstellungen herausgegriffen, wobei sich die Punkte auf die Zeit vor Hitlers Machtergreifung beschränken. Geschichtlich Belesenen werden diese Punkte bekannt sein. Es sind aber alles Thematiken mit einer gewissen Praxisrelevanz, Aspekten aus denen man für Gegenwart und Zukunft lernen kann.

Das Zentrum – ein Staat im Staat

Bismarck war in der Hoffnung, innenpolitische Stabilität zu erzeugen, ein Bündnis mit den Nationalliberalen eingegangen. Nach 1871 kamen aber zwei neue Kräfte auf das deutsche Politspielfeld, die ihm diese Hoffnung verwehrten. Das Zentrum und die Sozialdemokraten. Besonders beachtenswert ist das Zentrum.

Das Zentrum war die erste christliche Partei. Sie war Vorläufer von Volksparteien wie der ÖVP in Österreich oder der CDU in Deutschland. Parteien die heute ganz fest in der Politikszene verankert sind.

Damals war das Zentrum aber etwas ganz Neues. Sie brach mit einer Konvention, die Bismarck sehr wichtig war, weshalb er das Zentrum auch verachtete.

Bismarck war jemand der sehr stark in Klassen dachte. Mit Klassen konnte er umgehen, die Interessen von Klassen erschlossen sich ihm, so konnte er Politik machen.

Das Zentrum war die erste Partei Deutschlands, im Grunde die erste Partei Europas, die klassenübergreifend agierte. Ihr schlossen sich Arbeiter, Bürgerliche und Unternehmer gleichermaßen an. Für Bismarck war das ein Staat im Staat und damit eine enorme Gefahr für die Stabilität des Gesamtstaates.

Die Sozialdemokraten verhasste Bismarck nicht unbedingt wegen ihrer Forderungen, sie waren ja eine Klassenpartei, sondern vor allem wegen ihres revolutionären Charakters. Seit 1848 hatte Bismarck eine tiefe Abneigung gegen jede Art der Revolution.

Flottenbau 1898 und strategische Fehler

Das Deutsche Reich begann 1898 stark in den Ausbau einer eigenen Flotte zu investieren. Damals war man ohnehin schon einer französisch-russischen Allianz ausgesetzt und der Flottenbau war nun auch eine klare Provokation von England. Tatsächlich war England aber von 1898 bis 1901 immer wieder bereit für Sondierungsgespräche über eine mögliche Zusammenarbeit der beiden Mächte.

Diese Gespräche scheiterten. Der Grund dafür lag an einer falschen deutschen Logik. Man dachte, dass England erst recht zur Kooperation bereit sein würde, wenn die Flotte tatsächlich gebaut ist, schließlich machen sie bereits Zugeständnisse obwohl die Flotte nur in Plänen existiert. Natürlich hatte man nicht bedacht, dass die Zugeständnisse so etwas wie Präventivmaßnahmen sein können, die sofort umschlagen, sobald die Möglichkeit der Prävention nicht mehr gegeben ist.

„Nie bedenken sie, es könne auch einen Umschlag geben, wenn das zunächst nur Drohende Wirklichkeit würde: Vorbeugende Konzilianz könne dann in Feindschaft umschlagen.” – so Sebastian Haffner

Es wurde schon anfangs erwähnt, dass diese Punkte eine gewisse Praxisrelevanz haben und gerade bei diesem Satz von Haffner muss man doch unweigerlich an Donald Trump denken.

Ein strategischer Fehler & Geisteswandel der Bevölkerung

Bethmann Hollweg, der damalige Kanzler, wusste, dass er einen Krieg nur mit der innenpolitischen Unterstützung der SPD sowie ohne eine Einmischung Englands führen kann. Er wollte also einen Krieg im Osten nur gegen Russland. Das würde England wohl zulassen und gleichzeitig hätte man die Unterstützung der SPD, welche dem Zar feindlich gesinnt war.

Der Generalstab unter Moltke hatte andere Pläne. Sie planten einen Zweifrontenkrieg. Angriff auf Frankreich und Angriff auf Russland.

Tatsächlich befahl der Kaiser Wilhelm II. Moltke in einer Notkonferenz kurz nach Ausbruch des Krieges, dass einfach alle Truppen im Osten aufmarschieren sollen. Doch damit hatte Moltke nicht gerechnet. Er hatte keinen Plan B und konnte die Truppen nicht einfach verlagern.

Haffner sieht in dieser schlechten Planung Moltkes nicht nur den großen Fehler des deutschen Generalstabs im Ersten Weltkrieg, sondern vor allem auch den mentalen Wandel der Deutschen von der Bismarckzeit zur späten Kaiserzeit. Die Deutschen fühlten sich als eine nahezu unbesiegbare Großmacht, während man sich in der Bismarckzeit viel defensiver und demütiger verhielt.

Dieser breite Wandel hin zu einem „Germany is great again“ hat also zu einer weltpolitischen Katastrophe geführt. Und ja, die Brücke gehört abermals geschlagen: Wie militärisch gefährlich ist „Make America great again“, wenn es in der breiten Bevölkerung als „America is great again“ empfunden wird?

Die Pariser Friedensverträge – Ein Blick weg vom Versailler Vertrag

Dass die Art und Weise wie die Friedensverträge von Paris gestaltet wurden nicht sehr intelligent waren ist aus heutiger Sicht vollkommen klar. Sie waren der Boden auf der viele tragische Entwicklungen der nächsten Jahre wurzelten.

Haffner hat aber eine spannende Perspektive. Die Perspektive des Deutschen Reiches auf die Gesamtheit der Friedensverträge und nicht nur auf den Versailler Teil. Machtpolitisch stand das Deutsche Reich nämlich nach einer zukünftigen wirtschaftlichen Erstarkung, der Abzahlung der Reparaturen und dem Abschütteln der Abrüstungsregelungen, stärker da als noch vor 1914.

Erstens war Österreich-Ungarn in viele kleine Staaten zerbrochen. Diese Staaten waren im Alleingang nicht militärisch handlungsfähig. Ihr naheliegendster Bündnispartner war das Deutsche Reich.

Zweitens fühlte sich Russland ebenfalls als Verlierer des zweiten Weltkrieges, fühlte sich ebenfalls von den Alliierten betrogen. Auch hatte Russland, genau wie das Deutsche Reich, eine tiefe Abneigung gegenüber Polen.

Hier erschlossen sich also zwei naheliegende Bündnisoptionen, die die Stellung des Deutschen Reiches eigentlich stärkten.

Nationalismus – Schlagen mit den eigenen Waffen

Von 1930 bis 1933 begann der Nationalismus in Deutschland sehr stark aufzublühen. Zwar waren gewisse nationale Stimmungen immer vorhanden, in den Jahren von 1918 bis 1930 aber doch eher verkümmert beziehungsweise auf rechte Parteien beschränkt.

Plötzlich begannen aber alle Parteien sich den nationalistischen Strömungen zu bedienen. Von den Kommunisten zu den Monarchisten griffen alle zu. Das förderte den Nationalismus natürlich noch mehr. Und das Spiel des Nationalismus war gegen die Nationalsozialisten schließlich nicht zu gewinnen. Niemand verkörperte diese Stimmung so glaubwürdig, so authentisch.

Hier lag also ein großer Fehler der Parteien auf einen Zug aufzuspringen, der schnelle Profite versprach, obwohl man damit die Kontrolle des eigenen Zuges aus der Hand gab.

Kürzlich hat Constantin Seibt sehr ansprechend über den politischen Troll geschrieben. Ein Gegengift sieht Seibt darin, „die rechten Trolle zu trollen“. Mit Blick auf dieses historische Beispiel ist sein anderes Gegengift in Form inhaltlich starker, ruhiger und besonnener Arbeit wohl die bessere Alternative.

Zum Weiterlesen:

https://www.republik.ch/2019/12/21/der-politische-troll

Haffner, Sebastian: Von Bismarck zu Hitler. Ein Rückblick. München: 2015.