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Künstliche Intelligenz & Antibiotika

Dass der gesellschaftliche Diskurs rund um Künstliche Intelligenz oft weit von der Realität der heutigen Systeme entfernt ist, ist nichts Neues. In meinem Artikel „Pars pro toto & künstliche Intelligenz“ bin ich bereits darauf eingegangen, wie wir die Kapazitäten dieser Systeme überschätzen und die praktischen Risiken bei der Anwendung daher unterschätzen.

Doch im Zuge der fehlerhaften Mainstream-Narrative dieser Systeme werden nicht nur manche Risiken falsch bewertet und Fähigkeiten überschätzt. Im Schatten des Mainstream-Narrativs gehen auch die wirklichen Potentiale dieser Systeme unter, beispielsweise im Bereich der Medikamentenforschung.

In ihrem Artikel „A Deep Learning Approach to Antibiotic Discovery“ vom 20. Februar 2020 präsentieren einige Wissenschaftler von Harvard und dem MIT ihre Ergebnisse eines Deep Learning Modells zum Entdecken von Antibiotika.

Es gibt immer mehr Bakterien, bei denen die bekannten Antibiotika keine Wirkung zeigen. Doch die aktuellen Methoden zum Entdecken neuer Moleküle stoßen an ihre Grenzen. Bei der Untersuchung von natürlichen Stoffen treffen die Forscher immer wieder auf dieselben ohnehin bekannten Antibiotika und die aktuellen Methoden zum Screening von Molekülen in großen Datenbanken bieten keine sonderlich innovativen Ergebnisse und sind enorm zeit- sowie ressourcenaufwändig. Die Screens sind nicht sonderlich innovativ, weil man sich auf einige bekannte Eigenschaften beschränken muss und zeit- sowie ressourcenaufwändig, weil sie Ergebnisse liefern, in denen immer noch 100.000 bis 1.000.000 potentielle Moleküle enthalten sind.

Tatsächlich nimmt laut Angaben der Autoren die Produktivität beim Entdecken neuer Antibiotika stetig ab.

Methoden mit denen man Medikamentenforschung in silico, also auf Computern, betreiben kann, öffnen eine weitaus größere Bandbreite an Möglichkeiten, neue und innovative Stoffe effizient zu finden.

Mit einer überraschend geringen Menge an Trainingsdaten (2335 Moleküle), die danach gelabelt waren, ob sie das Wachstum von E. coli Bakterien behindern (das traf auf 120 Moleküle aus der Datenbank zu), trainierten sie ein Deep-Learning Modell.

Die Anwendung dieses Modells auf eine Datenbank mit mehr als 107 Millionen Molekülen lieferte schließlich 23 aussichtsreiche Resultate, von denen 8 Moleküle tatsächlich antibakterielle Wirkung zeigten.

Aus einer anderen Datenbank mit 6111 Molekülen konnte der Algorithmus 99 aussichtsreiche Stoffe herausfiltern, von denen 51 tatsächlich antibakteriell waren. Ein besonders spannender Stoff ist Halicin, der sich als sehr starkes Antibakterium mit neuartigen Wirkmechanismen erwies, was großes Potential für Bakterien liefert, die gegen die traditionellen Wirkmechanismen resistent sind.

Besonders spannend ist, dass dieser Stoff allen anderen bisher bekannten Antibiotika sehr unähnlich ist. Am ähnlichsten ist Halicin dem Stoff Metronidazol und selbst zwischen diesen beiden Stoffen beträgt die sogenannte Tanimoto Ähnlichkeit nur 0,21 wobei 1 eine vollkommene Ähnlichkeit (alle Unterstrukturen sind gleich) bedeutet und ein Wert von 0 auf praktisch keine Gemeinsamkeiten (keine Unterstrukturen sind gleich) hinweist.

Dabei überraschen diese enorm aussichtsreichen Ergebnisse vor allem aufgrund der geringen Anzahl an Trainingsdaten. Auch aus Sicht des Labelns besteht noch viel Potential, da man viele andere Faktoren als nur die Hemmung von E. coli Bakterien verwenden könnte.

Randnotizen zum Modell

Bei der mathematischen Darstellung von Molekülen greift man auf die Graphentheorie zurück, wobei die Atome als Knoten und die Bindungen als Kanten repräsentiert werden. Dazu kommt ein Vektor mit den jeweiligen Eigenschaften der Atome und Bindungen.

Beim Trainieren des Modells legte man zum einen Fokus auf lokale Gegebenheiten, also einzelne Atome und ihre Bindungen, und wie diese mit der Hemmung von E. coli Bakterien in Verbindung stehen. Diese Methode missachtet aber Effekte die auf die Gesamtstruktur von Molekülen zurückzuführen sind, weshalb man noch Ebenen für Makroeigenschaften in das Modell einbaute.

Zum Weiterlesen und Weiterhören:

https://a16z.com/2019/01/13/pharma-business-innovation-medicine-next-therapeutics/

https://www.cell.com/cell/fulltext/S0092-8674(20)30102-1